EU-Milchmarkt : Paradigmenwechsel

Veröffentlicht auf von Karl-Dieter Specht

EU-Milchmarkt:                                         Paradigmenwechsel

 

Die gemeinsame Milchmarktpolitik der EU war von Anfang an auf die Sicherung und Stabilisierung des Erzeugerpreises ausgerichtet. Um diesen Anspruch zu verwirklichen, wurde ein ausgeklügeltes

System von Binnen-und Außenmarktregelungen geschaffen. Dadurch konnte sich ein Preisniveau entwickeln, das ungehindertes Wachstum bei relativ abgesicherten Preisen ermöglichte. Im Laufe der Jahre kam es, wie konnte es anders sein, zu einer Produktionsausweitung, die der Markt nicht aufnehmen konnte. Es entstanden die so genannten Milchseen und Butterberge. Aufgeschreckt durch die Kosten der Überproduktion suchte man nach Problemlösungen. Dabei standen zwei Lösungsansätze zur Diskussion:

  • Durch Absenkung des Preisniveaus für eine Anpassung an den Markt zu erreichen,
  • durch Begrenzung der Produktion für mehr Marktstabilität zu sorgen.

 

Man entschied sich für den zweiten Weg und begrenzte die Produktion (EWG Nr.856/84 v.31.Mäzz 1984). Diese Maßnahme führte in der Tat zu einer Entlastung der Haushaltsausgaben. Das hat dazu geführt, das der Milchsektor im Wesentlichen von der Agrarreform 1992 ausgespart wurde. Mit der Agenda 2000 ging ein Paradigmenwechsel der gemeinsamen Milchmarktpolitik einher. Stand bisher die Sicherung der bäuerlichen Einkommen durch dirigistische Maßnahmen im Vordergrund, hob nach jetzt auf eine gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweise ab. Kürzung der Preisstützung bei gleichzeitiger Einführung von Direktzahlungen an die Erzeuger. Mit den Beschlüssen von Luxemburg vom 26. Juni 2003 wurde der Weg des Paradigmenwechsels konsequent weiter verfolgt.  Abschaffung des Richtpreises für Milch, 2004/2005 vorgezogene asymmetrische Interventionskürzungen bei Milchprodukten ( Magermilchpulver in drei Jahresschritten um 15 Prozent, Butter um 25 Prozent. Als Kompensationsausgleich erhalten die Bauern 3,5 Cents je kg, Milch. Durch gezielte Vermarktungsmaßnahmen soll der Absatz auf dem Binnenmarkt angekurbelt werden. Um diese Maßnahmen zur Preisstützung am Binnenmarkt durch Importe nicht zu unterlaufen, wird  ein entsprechender Außenschutz angewandt. Dieser Außenschutz ist im Rahmen der Uruguay-Runde im GATT (1995)  von einer variablen Abschöpfung in eine feste umgewandelt worden. Dadurch können Weltmarktentwicklungen voll auf den“ Europäischen Markt“ durchschlagen. Diese festen Abschöpfungssätze werden weiter abgesenkt. Der Stützungspreis für Milch liegt heute bei 21,5 Cents je kg. Milchäquivalent ( Milchäquivalent=durchschnittlicher Fett-und Proteingehalt von einem kg Rohmilch). Außerdem sind die Interventionsmengen zu festen Preisen auf jährlich 30.000 t Butter und 109.000 t Magermilchpulver begrenzt. Mit Blickrichtung auf den beschlossenen Quotenausstieg 2015 werden sukzessive die Quoten jährlich erhöht.

 

Export von Milcherzeugnissen in Drittländer

Um den Export von Milcherzeugnissen in Drittländer überhaupt zu ermöglichen, gewährt die EU Ausfuhrerstattungen. Diese Ausfuhrerstattungen kompensieren die Preisdifferenz  zwischen Weltmarkt- und Binnenmarktpreis. Ohne diese Erstattungen wäre die europäische Milchindustrie in ihrer Mehrheit nicht auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig. Dadurch trägt die EU in gewisser Weise zur Überschussproblematik bei und damit direkt zur Preisgestaltung auf dem Weltmarkt, die wiederum auf die Milchgeldauszahlungspreise  der Bauern durchschlägt .Eine weitere Rückführung von Ausfuhrerstattungen wird im Rahmen der WTO–Verhandlungsrunde als wahrscheinlich angenommen, zumal die EU für den größten Teil der Agrarsubventionen verantwortlich ist. Darüber hinaus erschweren Mengenbegrenzungen die Ausdehnung des Exportes in Drittländer mit Ausfuhrbeihilfen. Der Anteil der EU am Welthandel lag 2008 bei Magermilchpulver  17,8 %, bei Butter  ( Butteröl ) 26,4 , bei Vollmilch 22,9 % und bei Käse 38,8%

 

Gesellschaftlicher Wohlstand steht im Mittelpunkt

Infolge der Neuausrichtung der Milchmarktpolitik werden alle Maßnahmen zunehmend unter dem Aspekt des allgemeinen gesellschaftlichen Wohlstandes  gesehen und beurteilt. Stand früher die Sicherung des bäuerlichen Einkommens im Fokus der Betrachtungsweise, werden  heute zunehmend die einzelnen Handlungsoptionen auf ihre Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Wohlstand  hin abgeklopft. Zahlreiche wissenschaftliche Modellkombinationen und Gleichgewichtsmodelle kommen unter Berücksichtigung der obigen Betrachtungsweise zum Ergebnis, dass die Liberalisierung des Milchmarktes den gesellschaftlichen Wohlstand fördert. Insoweit hat sich Kommission diese Betrachtungsweise zu eigen gemacht und entsprechende Beschlüsse gefasst. Zusätzlich angeheizt durch euphorische Exportgelüste der Milchindustrie, verbunden mit der Hausse für Milchprodukte 2007/2008, ließ die Kommission alle Bedenken fallen, erhöhte die Milchquoten, schaffte die Ausfuhrerstattungen ab und gab somit den Weg frei für ein ungebremstes Wachstum der Milchindustrie.

 

Die Ernüchterung folgte auf dem Fuße

 Diese Maßnahmen führten dann rasch zur Ernüchterung. Denn schneller als erwartet, jedoch vorhersehbar, brach diese Global-Player-Party in sich zusammen. Der Weltmarkt holte die Akteure schnell wieder ein. Der Milchgeldauszahlungspreis an die Bauern viel auf ein bisher nie da gewesenes  Rekordtief. Es wurden auch gleich  Schuldige  ausgemacht: Nachfragerückgang, Wirtschaftskrise, und Produktionsausweitung mussten herhalten. Auf die Idee, dass die Kommission diese Entwicklung selbst mit begleitet hat, kam die Kommission natürlich nicht. Dabei hätte sie  nur ihre eigenen Statistiken einmal genauer ansehen müssen, um festzustellen,  dass der Tanz  der Milchindustrie auf dem Weltmarkt dem Steuerzahler viel Geld kostet. Im neun jährigen Durchschnitt liegt der Weltmarktpreis je kg Milch bei 20,30 Cents. Zu diesen Konditionen kann kein deutscher Bauer produzieren. Eine Strategie, die auf der einen Seite auf Wachstum setzt und auf der anderen Seite eine Grundabsicherung der Milchbauern vorsieht – das alles zusammen auf Kosten der Steuerzahler  - ist auf Dauer nicht durchzuhalten. Dieser Wiederspruch muss aufgelöst werden, wenn man nicht generell die Betriebsbeihilfen an die Landwirte gefährden will.

 

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